Seit sich unser Chefredakteur mit modernen Performern angefreundet hat, komme auch ich um das Thema nicht mehr herum: In der katholischen Kirche ist seit 2005 ein Phänomen en vogue - die Sinus-Milieus. Ein Marktforschungsinstitut (Sinus Sociovision) hat 10 Lifestyle-Cluster geboren, die mehr über die Menschen als Adressaten von Werbung aussagen wollen als harte soziodemografische Daten. Die Sinus-Milieus werden vor allem von Werbe- und Mediaagenturen für das strategische Marketing, zur Produktentwicklung und -kommunikation und für die Mediaplanung genutzt. Ich habe aus Fachkreisen gehört, daß in den Branchen rund um "Wohnen und Einrichten" damit gute Erfolge erzielt werden konnten. Für andere Themen, zum Beispiel Umweltschutz, sind die Sinus-Mileus nicht aussagekräftig.
Was will die katholische Kirche mit einem Instrument zur qualitativen Zielgruppenplanung für die Werbebranche? Sie erhofft sich einen Erkenntnisgewinn darüber, wer sich warum zur Kirche bekennt und welche Menschen aus welchen Gründen kirchenfern sind. Mit der Kenntnis der sozialen Milieus will sie sich neue Zugangsmöglichkeiten zu den Menschen eröffnen, die in Sachen Glauben bislang kaum oder gar nicht erreicht werden. Wie groß die Hilflosigkeit und der Bedarf an neuen Ideen und ist, läßt sich am Umfang und der Intensität der innerkirchlichen Rezeption erahnen.
Diese Rezeption erscheint mir sowohl in theologischer als auch in marketing-fachlicher Hinsicht überzogen. Aus Sicht der Marktforschung kann man viele Fragen an die Analyse selbst stellen. Die Sinus-Studien sind in mancherlei Hinsicht vor allem für die Mediaplanung ein brauchbares Instrument, das für bestimmte Branchen besser geeignet ist als für andere. Sie sind kein kommunikatives Wundermittel.
Als Theologin bewerte ich es durchaus positiv, wenn die Kirche sich endlich dafür interessiert, was die Menschen heute bewegt, welche Fragen, Probleme, Werte und Überzeugungen in ihrem Leben eine Rolle spielen; "den Hörer der Botschaft" in den Blick nehmen möchte. Und Verkündigung wird auch über die Medien stattfinden müssen. Aber wird das Glaubenszeugnis wie Mediaplanung funktionieren? Warum sollen Seelsorger zu Pastoralstrategen werden? Warum schielen die Konzepte so sehr auf die Milieus, die sie nicht erreichen und hören gleichzeitig so wenig auf die Menschen, die da - in der Kirche - sind?
Vielleicht sollte ich das Ringen um oder mit den Sinus-Milieus als aktuelle Ausformung des "Aggiornamento" (Papst Johannes XXIII.) verstehen. Doch gerade die hochgeschraubten Erwartungen und Hoffnungen, die in dieses eine Marketinginstrument gesteckt werden, sind mir unheimlich. Die Kirche darf über all ihrem Bemühen um so etwas wie eine Marketingstrategie nicht vergessen, daß der Adressat der Liebe Gottes nicht ein theoretisch konstruiertes Milieu ist, sondern jeder einzelne real existierende Mensch. Gerade das Internet als "individualisierte Massenkommunikation" (Klaus Driever,1996) bietet gegenüber einem gedrucktem Medium und dem Broadcasting den Vorteil, die Menschen nicht über Zielgruppen ansprechen zu müssen. Denn - wie es Joseph Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. in "Salz der Erde" gesagt hat: Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen (nicht Zielgruppen!) gibt. Und letztlich ist Glauben nicht das Ergebnis einer Kommunikationsstrategie sondern ein Geschenk des Heiligen Geistes.
„Ich will etwas verändern“
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vor 5 Jahren
1 Kommentare:
Was mich nervt ist, dass Leute mit einem Werte-Abo (wie Katholiken, Parteimitglieder, Biokäufer und andere Ismus-Verfechter) immer meinen, sie müssten jeden, der von ihrem Schema abweicht, mit Fragen und ihren Meinungen + Etiketten bombardieren und der andere müsste sich erklären. Muss er aber nicht. Er muss noch nicht mal das Schema anerkennen.
Ich kann schon etwas mit Beschreibungen anfangen, wenn sie einem Zweck dienen. Sie sind aber nicht existent, nur Hilfsmittel. Wenn sie jedoch den Blick auf das Wesentliche verstellen, werden sie gefährlich. Nicht jedes Problem ist ein Nagel, nur weil man einen Hammer besitzt. Cluster wie die Sinus-Milieus sind Vereinfachungen für Mediaplaner und andere Marktmechaniker, damit sie nicht mit dem einzelnen Menschen umgehen müssen. Die Zahl der Milieus wird von Hand eingestellt (so funktionieren Cluster-Analysen), aus rein praktischen Gründen… denn in „Wahrheit“ gibt es eine andere Zahl von Clustern… genau zwischen 1 (alle Menschen in einem Cluster) und ca. 8 Milliarden (jeder Mensch sein eigener Cluster). Wenn man den Menschen dann noch in der Zeit und in der sozialen Rolle variabel sieht, wird es noch komplizierter… DAS ist die Realität.
Im Internet gibt es keine Cluster, sondern einzelne Nutzer mit konkreten und latenten Interessen. So ist jede Seite darin das, was der Einzelne daraus macht, darin sucht oder findet.
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