Sonntag, 29. März 2009
Warum die päpstliche Haltung zu Präservativen als AIDS-Prävention kritisiert wird
Geht es den westlichen Kommentatoren überhaupt um das Thema des Papstes, nämlich nachhaltige AIDS-Prävention in Afrika? Informiert man sich vorurteilsfrei über die medizinischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, muss man sagen: Wohl kaum. Zu Recht beklagen die Afrikaner selbst eine imperialistische Grundhaltung ihnen gegenüber. Wurde seine Äußerung also einfach als weitere Steilvorlage für Papstbashing benutzt? Sehen wir gar Vorzeichen einer neuerlichen Christenverfolgung in Europa? Ich wage die These: In den Reaktionen der westlichen Welt auf den päpstlichen "Gummisatz" geht es um die Ablehnung der Morallehre der katholischen Kirche, um das "Nein" zu ihrer Einstellung zur Sexualität. Man will sich nicht bevormunden lassen von einer Institution, der man jede Kompetenz zum Thema abspricht. Es sitzt tief in den Köpfen der Menschen europäischer Prägung mit dem historischen Ballast jahrhundertelanger kirchlicher Gängelei im Rücken: Vorschriften, Reglementierungen, Warnungen, Drohungen - Sex auf katholisch ist verklemmt, problematisch und am besten gar nicht. Außer einer festlichen Hochzeit kann man von katholischer Seite keinen konstruktiven Beitrag erwarten. Da wird jede Aussage, die dazu taugt dieses Bild zu bestätigen, gerne genommen. Eigene Vorurteile in Frage stellen wäre schließlich anstrengend.
Und: Leistet die Kirche nicht ihren eigenen Beitrag, damit das so bleibt? Zeigt sie sich wirklich einmütig in ihrer Bewertung von Sexualität? Die offiziellen Dokumente und Stellungnahmen äußern sich zwar positiv. Teilweise wirken sie sogar fast übertrieben, als sei Sex eine Art heilige Handlung. Doch dann mischen sich immer wieder zwiespältige Töne in die Stellungnahmen unserer Kirchenvertreter. Wie soll man es verstehen, wenn Abtprimas Notker Wolf im Spiegel-Interview sagt "Bei uns ist die Sexualität genauso ein Problem wie in Afrika."? Oder wenn Kardinal Schönborn seinem "Sexuatlität ist gottgewollt" sofort ein dickes ABER hinterherschickt (vgl. "Sexualität in Gottes Namen")? Seine Aussagen über den Bruch in Gottes Schöpfung und dass mit Humor alles besser gehe, treffen schließlich auf alle Bereiche des Lebens zu - warum werden sie ausgerechnet in diesem Zusammenhang so sehr betont? Schlimmstenfalls schwankend zwischen Heiligsprechung und Verdammung, bestenfalls problematisierend bestätigen solche Aussagen die öffentliche Meinung: Sex ist der katholischen Kirche nicht geheuer.
Dass Sex kein Teufelzeug ist und nicht nur zum Zweck der Fortpflanzung zähneknirschend in Kauf genommen werden muss, hat sich innerkirchlich seit Humanae Vitae herumgesprochen. Aber eine über Jahrhunderte eingeübte sexualfeindliche Haltung lässt sich offensichtlich nicht so einfach abschütteln. Und genau die wollen sich "westliche" Menschen nicht mehr antun. Für sie ist Sex in erster Linie etwas Schönes. Weder heilig noch gefährlich, am liebsten unproblematisch. Zwischen der totalen Promiskuität und der lebenslangen Monogamie gibt eine riesige Bandbreite von Leben, das gestaltet und verantwortet werden will. Dass das auch im katholischen Paralleluniversum normaler Alltag ist, wird nach außen viel zu selten gesagt. Dabei würde ein kirchlicher durchgängig souveräner und unaufgeregter Umgang mit Sexualität dazu beitragen, dass die Kirche als inhaltlich qualifizierte moralische Autorität wieder ernst genommen werden könnte. Menschen brauchen niemanden, der ihnen ihre Probleme vorführt, in ihren Wunden bohrt und Vorschriften macht, sondern Beistand und Lösungen für ihre Probleme - sofern sie überhaupt welche haben. Und die mit Sex keine Probleme haben (ja, das soll es tatsächlich geben!), wollen nicht ständig ermahnt werden, dass sie eigentlich ein Problem mit Sex haben müssten.
Montag, 23. März 2009
Engel auf Augenhöhe und vom Diesseits ins Jenseits betrachtet
Eine Leseprobe aus dem Abschnitt über den Rokokko-Engel vom Flohmarkt - @Don Alphonso: ich hoffe es ist gestattet.
"So wie oben sieht er aus, wenn man ihn auf Augenhöhe betrachtet: Eine Missgeburt mit Wasserkopf, ein schräges, verzogenes Gesicht, ein dummglotzender Blick, ein junger Glöckner von Notre Dame, dessen Backen geschwollen sind, und dessen linkes Auge hängt. Als habe es sein Schöpfer nicht verstanden, ihn gefällig zu gestalten, als sei im Schaffensprozess aus einem liebenswerten Kind ein kleines, hässliches Monster geworden. Für den normalen Käufer ist das abstossend, man denkt an Krankheiten, Fehlgeburten und absolut nicht an ein himmelhochjauchzendes Wesen, das dieser Racker darstellt.
Das Problem derer, die ihn nicht erwarben und entsetzt ablegten, war die Augenhöhe und die Unfähigkeit, sich in dieses Himmelhochjauchzen hineinzudenken. Der Putto stammt vermutlich von der linken Seite eines Altars und jubelte einige Meter oberhalb des Betrachters. Man muss ihn also nur von links unten betrachten, und schon wird aus dem Wechselbalg wieder das, was er ist: Ein famoser Barockbengel, dessen Qualität sich aus der Fähigkeit des Schnitzers erklärt, ihn genau so zu formen, dass er nur von unten, aus dem Diesseits, zum süssen Fratz, zum Frauenherzenstürmer, zum gnadenlosen Kindchenschema mutiert. Nur aus dieser Position entwickelt er sein mokantes Lächeln, seine Augen blitzen und ja, gut, von mir aus, ich gebe es zu, ich habe einen FAZ-Wochenlohn, nein, ich kann da auch nicht einfach, über dem Gästebett sieht er einfach hin-reis-send aber lassen wir das.
Und reden wir über den Papst und Kirche. Die haben nämlich das gleiche Problem wie der Putto...." (hier komplett lesen)
aus: Don Alphonso, Papst und Putte, FAZ 23.03.09
Donnerstag, 5. März 2009
Blaming the Victim
Am Vorabend des Weltgebetstags der Frauen macht eine Meldung die Runde, die wohl niemanden kalt lässt. Ein neunjähriges Mädchen ist Opfer eines schrecklichen Verbrechens, dem weitere Gräueltaten folgen (nachlesen zum Beispiel bei Zeit online):
1. Zuerst wird sie jahrelang vom Stiefvater vergewaltigt - und damit Opfer eines der schlimmsten Verbrechen, die ein Kind erleiden kann.
2. Von diesem wird sie schwanger - ein Ereignis, das nochmals eine neue lebensgefährliche körperliche und seelische Bedrohung für das kleine Mädchen darstellt.
3. Man - wer auch immer, sie ist sicher zu jung dafür - entscheidet, dass ihre Kinder abgetrieben werden. Ob sie begreift, was das bedeutet, weiß man nicht - hoffentlich jetzt noch nicht. Vergessen können wird sie auch dieses Erlebnis wahrscheinlich nie.
4. Der "Fall" kommt an die Öffentlichkeit, bei uns immerhin ohne Namensnennung. Wo wird sie ihre Zukunft, die sie hoffentlich hat, verbringen können?
5. Zu diesen vier grauenvollen Erlebnissen meinen hochrangige kirchliche Vertreter, an ihr ein Politikum exerzieren zu müssen: Es wird öffentlich verkündet, dass sie sich wegen der Abtreibung die Exkommunikation zugezogen habe.
[Einen Tag später korrigiert Radio Vaticana: Nicht das Mädchen, sondern die Mutter und das Ärtzeteam seien exkommuniziert. "Richtig sei jedoch, dass alle an der Abtreibung Beteiligten sich durch diese Tat die Exkommunikation automatisch zugezogen haben." Das ist ein Unterschied - ja. Eher kanonistischer Natur. Denn es werden ja doch diejenigen mit der Kirchenstrafe belegt, die sich um das Kind Wohl des Kindes sorgten und ihm helfen wollen.]
6. Der Vergewaltiger wird nicht exkommuniziert.
Nur tröstlich zu wissen, dass morgen ganz viele Frauen weltweit dieses Mädchen, ihre Mutter und ihre Kinder in ihr Gebet einschließen werden. In der Meinung, dass auch sie das Erbarmen Gottes schon in diesem Leben erfahren kann.
[Laut Radio Vaticana am 14.3. hat die brasilianische Bischofskonferenz festgestellt, dass "der Vergewaltiger jedenfalls aus der Kirche ausgeschlossen sei, da er eine Todsünde begangen habe".]
[Erzbischof Rino Fisichella bringt es in seinem Artikel im L´Osservatore Romano auf den Punkt - Radio Vaticana berichtet am 15.3.]
[Stellungnahme der Erzdiözese Olinda-Recife zum Artikel Fisichellas, via Scipio]
Mittwoch, 4. März 2009
Ultramontan oder katholisch?
Wer die Wartezeit auf den gemeinsamen Brief an die Gläubigen zur historischen Einstimmung nutzen möchte, dem sei die kleine Schrift von Leopold Schmid aus dem Jahre 1867 mit dem schlagzeilenverdächtigen Titel "Ultramontan oder katholisch" empfohlen.
Für alle Nicht-Mainzer der Hintergrund zur Person: Prof. Leopold Schmid war 1848 vom Mainzer Domkapitel zum Bischof von Mainz gewählt worden, wurde aber vom Vatikan nicht bestätigt.
"Schmid warf man vor, dass er unehelich geboren und im Wilhelmstift in Tübingen einmal getadelt worden sei. Außerdem stimme der Inhalt seines Genesiskommentars nicht mit der kirchlichen Lehre überein und er neige liberalem Denken zu.
Da alle diese Argumente sich als falsch und nicht tragbar erwiesen, suchte man verzweifelt nach einem anderen Grund, um die Anerkennung durch den Heiligen Stuhl zu hintertreiben. Diese Begründung lieferte die sogenannte „Friedberger Konferenz“, an der die Pfarrer der Wetterau und auch Professor Schmid teilnahmen. Schmid soll sich hier gegen den Zölibat geäußert haben. Der damalige Dekan des Dekanats Friedberg, Pfarrer Philipp Keller aus Ockstadt, gab diese Information an Lennig weiter und dieser schrieb dem Bischof von Straßburg: „Pfarrer Keller ist einer unserer braven Geistlichen, ein in jeder Hinsicht zuverlässiger Mann, der mitten unter aufmüpfigen Mitbrüdern wohnt und ihr Treiben beobachtet.“In einem weiteren Brief vom 8. Mai 1848 an den Bischof von Straßburg, der ebenfalls von Lenning stammt, heißt es: „Die Äußerungen von Keller sind derart, dass eine Konfirmation der Wahl von Rom von nun an nicht mehr denkbar ist“. Tatsächlich wurde die Wahl Schmids nihiliert."
(zitiert aus: Eine kleine Kirchengeschichte)