Die kirchliche Reaktion auf die Urknall-Simulation, deren Vorbereitungen am 10. September 2008 im CERN begonnen haben, war eindeutig und für Kritiker des Christentums möglicherweise überraschend:
"Die an diesem Mittwoch bei Genf begonnene Urknall-Simulation mit einem Teilchenbeschleuniger widerspricht nicht der katholischen Lehre. Das betonte der Vorsitzende des Weltverbandes der Wissenschaftler, Antonino Zichichi, gegenüber Radio Vatikan. Zichichi ist Mitglied in Päpstlichen Akademie der Wissenschaften." (rv)
Selbstverständlich widerspricht wissenschaftliche Forschung nicht dem christlichen Glauben. Ein Glauben, der vor dem Verstand nicht bestehen kann, trägt nicht. Und der glaubende Mensch, der "Gott in allen Dingen" sucht, kann dies in einem Higgs-Teilchen genauso gut wie in einem Baum, im Schein einer Kerze oder einem Alltagsereignis. Vom dankbaren Staunen über die Wunder der Schöpfung eines Franziskus bis hin zu den Versuchen eines Teilhard de Chardin, die Ergebnisse der Forschung theologisch zu deuten, gibt es viele Möglichkeiten Natur und Glauben zusammen zu denken.
Die Experimente im CERN wurden schon früher von anderer Seite mit dem Glauben an Gott in Verbindung gebracht: Ein "Gott-Teilchen" würde dabei gesucht. Ziel der Wissenschaftler ist es, die Existenz eines Elementarteilchens nachweisen, das bisher nur theoretisch errechnet wurde: Das "Higgs-Boson" sei notwendig, um die Materie zusammenzuhalten und wurde deshalb von Journalisten gerne als eine Art Seele des Universums beschrieben.
Offenbar gibt es Menschen, die glauben oder hoffen, Gott experimentell nachweisen zu können - etwa mit Hilfe eines Gott-Teilchens oder der Urknall-Singularität. Oder das Gegenteil: Astrophysiker Stephan Hawking - zeitlebens auf der Suche nach Gottes Plan - glaubt auf Grund seiner Forschungsergebnisse nicht an Gott: "Die Grundannahme der Wissenschaft ist der wissenschaftliche Determinismus: Die Naturgesetze bestimmen die Entwicklung des Universums, wenn sein Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist. Diese Gesetze können von Gott erlassen worden sein oder nicht, aber er kann nicht eingreifen und die Gesetze brechen, sonst wären es keine Gesetze. Gott bliebe allenfalls die Freiheit, den Anfangszustand des Universums auszuwählen. Aber selbst hier könnten Gesetze herrschen. Dann hätte Gott überhaupt keine Freiheit." (Stephan Hawking in "bild der wissenschaft")
Gerade die Ergebnisse der Kosmologie und der Quantenphysik werfen bei vielen Menschen Fragen auf, die von glaubenden Menschen leider viel zu wenig aufgegriffen werden. In vielen Ausgaben der Zeitschrift "bild der wissenschaft" wird der christliche Glaube thematisiert und meistens sehr kritisch angefragt. Nicht nur im Zusammenhang mit der Enstehung des Universums: beliebte Themen sind auch die Evolutionstheorie und die Soziobiologie - etwa mit der Frage, welche Funktion die Religion für den Menschen habe.
Bei aller Begeisterung für naturwissenschaftliche Forschung: Wir, die Menschheit, bleiben dabei immer im Rahmen unserer menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeiten. Wir messen, rechnen, experimentieren und erzielen erstaunliche und großartige Ergebnisse. Doch wir bewegen uns immer nur in unserer begrenzten menschlichen Dimension. Aus eigener Anstrengung zur göttlichen Welt vordringen können wir nicht. Dann wäre diese ja auch nicht mehr göttlich.
Deshalb hat Gott die Initiative ergriffen und ist Mensch geworden, um sich uns zu offenbaren und uns nahe zu sein. Ein Mysterium, dem wir mit unserer Biologie niemals auf den Grund kommen werden und auch nicht müssen. An dieser Stelle findet der Übergang zum Glauben statt, nicht innerhalb der naturwissenschaftlichen Forschung.
Die Bestrebungen, die biblischen Geschichten mit zwanghaft historischen oder naturwissenschaftlichen Erklärungen zu versehen (zuletzt gelesen bei Frank J. Tipler), können sich als Falle erweisen. Ein Beispiel ist die von Hawkings in seiner Urknalltheorie postulierte Urknall-Singularität. Die wurde sofort von manchen Theologen gerne aufgegriffen und kurzerhand mit "Gott" identifiziert. Inzwischen ist die Singularität längst wieder in der Diskussion. Nach dem "No Boundary - Proposal", in dem das "Instanton" einführt wurde, hat die Astrophysik mindestens noch zwei weiterführende Modelle der Entstehung des Universums entworfen. Und schon ist Schluss mit dem Traum vom Gottesbeweis in der Singularität!
Der christliche Glaube braucht keine naturwissenschaftliche Erklärung für die seine Heilsgeschichte. Keine für die Jungfrauengeburt (schon gar keine abenteuerliche, nach der Jesus ein Mann mit zwei X-Chromosomen war, wie Frank Tipler vorschlägt), keine für die Auferweckung, keine Bücher wie "Und die Bibel hat doch recht", keinen Kreationismus und auch keine Nahtoderfahrungen. Die Heilsgeschichte der Bibel ist keine billige Welterklärungsformel für schlichte Gemüter, die den Naturwissenschaftlern historisch voraus gegangen sind oder ihnen nicht folgen können. Glaubensgeschichte erzählt nicht einfach die messbare Realität, sondern von den tiefen Wahrheiten in den Erfahrungen des Lebens, erzählt von menschlichen Heilserfahrungen in der Geschichte und davon, was dem Leben seinen Grund und Sinn gibt.
Was Menschen brauchen sind nicht wissenschaftliche Beweise für die Sintflut oder eine naturwissenschaftliche Erklärung dafür, wie Petrus über das Wasser laufen konnte. Was wir brauchen sind das Vertrauen eines Noah oder Petrus: ein Vertrauen, das aus der Hoffnung kommt. Und wir brauchen die Liebe, die aus diesem Vertrauen und dieser Hoffnung wächst.
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